In einer strukturellen Analyse der Theatralität des Alltäglichen beschreibt Kaja Silverman**, dass jedes Subjekt, das sich dem Blick eines Betrachters wissentlich öffnet, eine »fotografische Transaktion« vollführt. In dem Moment, in dem das Subjekt bemerkt, das es betrachtet oder fotografiert wird, nimmt er oder sie die Haltung eines »pre-fotografischen Fotos« ein. In diesem Sinne präsentiert sich das Subjekt dem Blick schon in der Gestalt eines (vor)bestimmten Bildes. Der theatrale Akt des Fotografiert-Werdens transformiert aber nicht nur das Subjekt, sondern rückt auch seine Umgebung ins Blickfeld. Der Ausdruck, die »Message«, die uns das Portrait liefert, wird also nicht nur durch das Subjekt bestimmt: der Raum inszeniert ebenso das Bild, das uns anblickt.
Das Prinzip der Performanz impliziert immer grundlegend eine spezifische Transaktion zwischen dem Betrachter und dem Subjekt seiner Wahrnehmung. Und es ist das Subjekt der Wahrnehmung, das die Mittel bereitstellt, mit der es auf bestimmte Art und Weise betrachtet werden kann. Er oder sie konfrontiert den Betrachter aktiv, kreiert eine Situation, in der das Verhältnis von Betrachter und Subjekt definiert wird. Sabine Jelinek hat in London junge Menschen aus ihrer unmittelbaren Umgebung fotografisch portraitiert. Ihr Anliegen war es, sie ganz persönlich und unverwechselbar darzustellen. Meist sind sie in ihrer eigenen Wohnung zu sehen, andernfalls in einer Umgebung, zu der sie ein bestimmtes Verhältnis haben. Mit jedem/jeder Einzelnen verbindet Sabine Jelinek konkrete Assoziationen, Eigenschaften, die sie faszinieren und anziehen. Diese Anziehungskraft rührt von einem subjektiven wieder Erkennen von eigenen Eigenschaften und Lebenskonzepten, die sie in den ausgewählten Personen gespiegelt sieht. Sabine Jelinek begibt sich auf die Suche nach dem Moment, in dem diese Projektion im Anderen erscheint und versucht, diesen fotografisch festzuhalten. Dieser subjektiv geprägte Blick der Fotografin auf ihr Gegenüber scheint etwas auszulösen, was im fotografischen Bild als oszillierende Wechselbeziehung zwischen ihr und den abgebildeten Personen zu bemerken ist. Die Personen erscheinen in einem Spannungsfeld von Außen-Projektion, dem eigenen Image und einem (un)bestimmten Begriff von Authentizität. Übrig bleibt nur »das Einzige«, »das Richtige« Bild, das diese gelungene Transaktion zeigt.
Melanie Ohnemus
MULTIPLICITÉ* OR THE PRINCIPLE OF PLURALITY
In her structural analysis of the theatricality of the every day, Kaja Silverman describes how the subject who knowingly offers him or herself to the observer's gaze makes a "photographic transaction". When a subject notices that he or she is being observed, or on the point of being photographed, he or she adopts a "pre-photographic" pose. The subject thus offers him or herself in a pre-determined state becoming an object in the process. The theatrical act of taking a photograph transforms not only the subject/object but the surroundings into a stage. The message communicated to us by the image is hence not just determined by the subject but by the surroundings which are presented to us.
The principal behind the photographic performance implies a specific transaction between the observer and the subject/object of his or her perception. And, it is the object of our perception that determines the means and ways with which it is perceived. The object actively confronts the beholder, defining the relationship between the two. Sabine Jelinek has photographed young people in their natural surroundings. It was her aim to portray her subjects with immediacy. They are mostly seen in their own homes or in surroundings with which they are intimately bound. Sabine Jelinek imbues each person with concrete qualities which fascinate and attract her. The particularity of the images derives from subjective interpretation of the qualities which she sees at play in her subjects. Sabine Jelinek seeks to represent photographically her projection upon her subjects. This subjective gaze of the photographer seems to create an oscillating relationship between her and hence we, the viewer of her images and her represented subjects. In the photographs is created a tension between the observer and the observed and hence an uncertain sense of authenticity. What remains is the immaculate image, which successfully shows this transaction.
Melanie Ohnemus
Translation from German Daniel Godfrey
*multiplicité (french): multiplicity, plurality (after: Deleuze/(Guattari), **Kaja Silvermann, "The Threshold of the Visible World", Routledge, London, 1996.
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"Lali in her Studio", 2004 (C-Print, 100 x 93 cm) / "Philip in his Squat", 2004 (C-Print, 100 x 100 cm) / "Lara in her Flat", 2004 (C-Print, 100 x 93 cm) / "David on the Staircase", 2004 (C-Print, 100 x 72 cm) / "Sandra at the Window", 2004 (C-Print, 100 x 93 cm) / "Lukas in his Photography Studio", 2005 (C-Print, 100 x 93 cm ) / "Olga in her own Room", 2006 (C-Print, 100 x 100 cm) / "Maria in her Kitchen", 2005 (C-Print, 100 x 100 cm) / "Simon in his bedroom", 2004 (C-Print, 100 x 100 cm) / "Wilfried in his Laboratory", 2013 (C-Print, 100 x 100 cm)
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